Ramirez Flamenco 1A Modell 61’

Mut zum Wesentlichen!


Schon mal von einem Zigeunerleben ohne Verstärker, Effekte oder Kabel geträumt, also ganz und gar unverstärkt? Für viele eher ein böser Traum, für andere ein Bild der Erfüllung oder schon gelebte Passion.

Durch die Sierra
Von Granada aus in südlicher Richtung führen alle Wege zum Meer. Man durchfährt ein steiniges Hochplateau, eine karge, sonnendurchflutete Landschaft, in der sich zur äußeren Tagesschwere eine innere Zähigkeit ins Leben gegraben hat, die hier vor Ort genau wie in Nordafrika im Zentrum steht. In schattigen Fluchten, wo der Widerstand durch eine feuchte Meeresbrise, den Wein oder wieder erwachende Lustgefühle etwas gebrochen scheint, überkommt einen der Flamenco – jene harte, energetische Klage gegen die unwägbaren und doch immer wiederkehrenden Heimsuchungen und Versuchungen der Liebe, und jene kraftvolle, raue Feier des todgeweihten Lebens. Viel kantiger und schärfer als die harmonischen Rhythmen und Gesänge des gegenüberliegenden zentralen Afrikas tönend, hat sich hier im westlichen Südeuropa eine einzigartige Musikmixtur aus maurischem und europäischem Leben entwickelt, die man getrost als die Wiege der Gitarre bezeichnen darf.
Der Rhythmus und die Dynamik ist für mich näher an Rock als alles, was ich vom angloamerikanischen frühen Blues und Rock’n’Roll gehört habe. Dieses ekstatisch, ständig Eruptive dieser martialischen, von Machismo geprägten Musik und des davon untrennbaren Tanzes, lässt sich mit dem swingenden, mal langsamen und meist mittleren Tempo und schleppenden Backbeat des Blues überhaupt nicht in Verbindung bringen. Erst der Rock der späten 1960er Jahre kann von sich behaupten, ein vergleichbares Konzept hervorgebracht zu haben, allerdings elektrisch. Man denke mal an Janis Joplin, The Who und Jimi Hendrix. Die spanischen Helden trugen andere Namen von Manitas de Plata, Sabicas bis heute zu Tomatito oder Paco de Lucia. Und irgendwie ist das für mich immer noch der härteste Sound, den ich kenne. Slipknot sind laut, aber hart?
Ultraverzerrte Gitarren sind ziemlich träge! Stevie Ray trug sein Outfit zu Recht: Er hatte was von der dynamischen Härte eines Stierkämpfers! Auch sein physisch angelegter, drückender, wenig verzerrter Sound. Er und Hendrix waren wirklich hart, wenn sie wollten. Aber zurück nach Europa und zu unseren Helden. Ich hoffe, jedem hier ist klar, was Paco de Lucia für ein wahnsinniger, durchstählter Spieler ist? Eine Art Ravi Shankar Europas – kein Wunder, dass ihn sein Spiel nach all den harten, entbehrungsreichen Jugendjahren, dominiert von einem nicht enden wollenden asketischen Trainingsprogramm, genauso weltberühmt machte wie den indischen Sitar-Magier. Vielleicht sollten wir uns mal mehr auf unsere europäischen Wurzeln besinnen. Dass uns die amerikanische Musikkultur nähersteht, ist schon erstaunlich. Aber anscheinend hat sich unsere Volksmusik ja wirklich mit der Musik der Schwarzen zur Country-Musik entwickelt, während sich die spanisch-musikalischen Energien zusammen mit karibischen Ingredienzien in den Latinosound transformierten, sozusagen als eigene Parallelwelt südlicher Hemisphäre.
Man stelle sich mal vor, jede elektrische Gitarre in Deutschland würde durch ein auf Torres (spanischer Gitarrenbauer, der Ende des 19. Jahrhunderts das letztlich endgültige Klassik/Flamenco-Gitarrenformat entwickelt hat) zurückgeführtes, akustisches Gitarrenmodell ersetzt. Ich schätze, allein deswegen könnten wir auf die eine oder andere Energiequelle verzichten. Wir müssten mehr üben, damit es wirklich zündet – gitarrentechnisch und kreativ, versteht sich: treffsicherer am Griff und Plektron ade! Es ist wie mit dem unerforschten Ozean, die analoge Welt ist wissenschaftlich gesehen noch lange nicht verstanden und erschlossen. Ob die von uns geschaffene digitale Kunst-Welt, die unser Leben zwar widerspiegelt aber nun mal nicht hervorgebracht hat, ihren momentanen Stellenwert behalten kann, ist jedenfalls nicht sicher. Sich zufrieden zu geben mit dem „So wie“ einer Konzert-Gitarren-Emulation, wäre schon bitter. Die Auseinandersetzung mit einem Instrument wie der Ramirez hat etwas enorm physisches, und kann, wenn man es ernst meint, auch zu einer Art Überlebenstraining mutieren. Verzweiflung pur – aber nur so gibt’s die Aussicht auf real erlebte Belohnungen!

Ramirez 1A
Die Gitarrenbauer-Dynastie Ramirez aus Madrid, die seit 1890 dort ansässig Gitarren baut, ist unzertrennlich verknüpft mit dem Namen Segovia. Andrés Segovia ist die historische Gitarrengröße schlechthin. Wie kein anderer
vor ihm und zu seiner Zeit (1893-1987) verstand er es, seinem Spiel musikalisch und rezeptiv Geltung zu verschaffen. Durch die verbesserte Aufnahme- und Vermarktungstechnik sowie dem allgemeine begünstigten Unterhaltungs- und Kulturbedürfnis in den Zeiten des Wiederaufbaus, wird sein Name fast singulär identifiziert mit einem Repertoire spanischer Klassik von Albeniz bis Tarrega oder den südländisch schwelgerisch geprägten Interpretationen modernistischer europäischer Werke und Bach-Transkriptionen. Ein ähnlicher Vorteil wurde ja z. B. Leuten wie Herbert von Karajan zuteil. Ein Blick in die Wohnzimmerschränke älterer Damen und Herren bringt auch dort immer wieder die dominanten großen Namen auf Vinyl zum Vorschein. Die Kooperation von Segovia und Ramirez hat den Gitarrenbau ungemein begünstigt, ähnlich wie die Zusammenarbeit von Les Paul und Gibson. Aber vielleicht noch grundsätzlicher und bewusster in der spielerischen Ausrichtung auf einem höheren Niveau. Letzteres wird anschaulich an der Virtuosität Segovias und der klanglichen Größe der handgemachten Ramirez Edel-Instrumente der 1960er Jahre. Wenn man von Virtuosität spricht, könnte man sich vielleicht Ähnliches von der Kooperation von Steve Vai und Ibanez erhoffen, wenn all seine Modelle handgemacht von Meistern gebaut würden. Die damalige 1A Fertigung hat einen Stellenwert wie die frühe Produktionsreihe der Les Pauls von 1954 bis 1960. Die Materialien und Produktionsvorgänge haben eine ähnliche Aufarbeitung erfahren. Auf den Fotos sieht man übrigens neben dem Flamenco Modell von 61 auch eine 1A Classico von 71.

Der Kernaufbau der 60er 1A besteht aus einer Zedern-Decke, Zargen und Boden aus Rio-Palisander, Einfassungen aus Zypresse und einem Ebenholz-Griffbrett. Den Rio-Palisander zum Beispiel gab es in den 1970er Jahren nur selten und auch die Leim- und Lackrezepturen variieren über die Jahrzehnte. Somit ist klar, wie die Interessenslage bei Spielern und Sammlern heute aussieht. Da es verschiedene Baumeister bei Ramirez (zur Zeit José Ramirez des III.) gab, erlangen die verschiedenen Initialen unterschiedliche Wertschätzungen. Um die 30.000 US-Dollar für ein 1960er Jahre Instrument sind keine Seltenheit. Vieles wird auch zwischen 6.000 und 12.000 US-Dollar gehandelt. Die Mensur beträgt hier 664 mm im Vergleich zum gängigen 650mm Standard. Alles war auf klangliche Größe ausgelegt. Insofern unterscheiden sich die 1A Produktionskonzepte für das Klassik-Modell und das Flamenco-Modell schon, da die Klangerwartungen anders liegen.

Flamenco Queen
Die Klangerwartungen der auf Schnelligkeit, Direktheit und explosive Dynamik angewiesenen Flamenco-Spieler werden vom Segovia geprägten Klassikmodell nicht gerade erfüllt. Mit der gewonnenen klanglichen Größe hat das Instrument an perkussivem Potential eingebüßt, welches für die andalusische Gitano-Kultur unerlässlich ist. So gehört die zweigeteilte Modellpalette zwischen Klassik und Flamenco, alle Sonderspezifikationen und Übergangsentwicklungen mal unberücksichtigt, unbedingt zur spanischen Gitarrenbaukunst dazu. Die Leistung Ramirez besteht in der Zusammenführung der Talente diskanter Perkussion und Lautstärke, die das Instrument über den Status der reinen rhythmischen Begleitung hinaus für den solistischen Einsatz tauglich machten. Äußerlich meist erkennbar an der archaischen Kopfplatte mit den eingesteckten Saitenwirbeln oder der aufgearbeiteten Schlagplatte, manchmal in Weiß oder auch transparent, unterscheidet sich das Flamenco Modell weiter durch die verwendeten Hölzer. Die Decke bei meiner Flamenca ist deutsche Fichte, Zargen und Boden bestehen aus Zypresse, obligatorisches Ebenholzgriffbrett und die Wirbel sind aus Brazilian Rosewood: Nicht gerade eine Stimmerleichterung, aber in der Gesamtkonstruktion durchaus klangbildend. Die Mensur beträgt 655 mm und der Hals ist am Steg 52 mm breit. Sie trägt das Gold/Rot Label, das fälschlicherweise für eine Etikettierung minderwertiger Instrumente gehalten wurde und vermutlich von vielen noch immer wird, wenn es um Instrumente der frühen 1960er geht. Diese Unterscheidung greift allerdings erst ab 1967, als man das blau geränderte Doppellabel einführte, vorher sind alle Instrumente, egal ob blau oder gold/rot gelabelt, von den führenden Meistern in 1a Qualität gefertigt worden. Das geht aus Schreiben Ramirez des III. hervor, ist auf der Homepage von der jetzigen Besitzerin Amelia Ramirez allerdings nicht vermerkt, wohl aufgrund der Komplexität und Unübersichtlichkeit eines handverarbeitenden Unternehmens jener Tage. Das Instrument ist superleicht, von ungemein schneller Ansprache und verfügt über immense Dynamik. Herrlich vibrierende Bässe und perkussive Höhen sind charakteristisch. Lautstarkes Spiel ist im Gegensatz zum Klassik-Modell immer mit Saitengeräusch verbunden, gewolltermaßen. Daher lässt sich klassisches Repertoire nur bedingt spielen, entweder nicht ganz so laut oder eben mit mehr diskantem Attack als erwünscht: Für einen Strat-Spieler allerdings auf Anhieb die vollakustische Variante!
Wenn man nicht gerade auf traditionellen Flamenco fixiert ist, eröffnet dieses Instrument Welten, da es alles spielerisch Angebotene sehr, sehr direkt wiedergibt. Hier ist kein Selbstbetrug möglich! Ein unwahrscheinlich klarer Ton erlaubt nur bewusst Gefühltes. Vielleicht auch der Grund für die überzeugende Kraft spanischer Gitarrenhelden und Musiker, die solche Elemente für ihre eigenen traditionsfreien Schöpfungen zu nutzen wissen. Kürzlich habe ich eine alte Ramirez von Ralph Towner im Angebot entdeckt. Ein Mann, der ohne Zweifel die Magie dieses Instrumentes ausschöpft, wie man auf vielen alten Aufnahmen verfolgen kann. Apropos alte Aufnahmen: Unbedingt anhören sollte man sich die Aufnahmen von Paco de Lucia und seinem früheren Partner, dem bereits verstorbenen Sänger Camarron de la Isla. Hier wird in beeindruckender Weise mit außerordentlicher Virtuosität die geballte Kraft, Härte und Tristesse des Flamenco spürbar, ursprünglicher noch als es die bekannten, eingängigen und stilübergreifenden Werke des Saitenkönigs vermitteln. Hierzu gibt es auch Videos. Paco de Lucia spielte zunächst Ramirez bis er Anfang der 1970er Conde Hermanos für sich entdeckte. Diese heute sehr gesuchten Instrumente der 1960er und 1970er Jahre haben 670 mm Mensur! Sie unterscheiden sich aber deutlich von den aktuellen Instrumenten der weiter produzierenden Erben.
Hier finde ich schwerlich ein Ende, zu umfangreich sind die Eindrücke und Spuren dieser hitzigen Kultur, und ich habe mich noch nicht einmal über Nagelfeilen und Nagelhärter oder Lackierung der Gitarren ausgelassen.


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